Dienstag, Februar 19, 2008

Wird ein weiterer Sklavenhändler in Hamburg geehrt?

Folgenden offenen Brief richtete Jokinen von afrika-hamburg an den Altonaer Bezirksamtsleiter Jürgen Warmke-Rose:

O F F E N E R B R I E F

Große Bergstraße
Umbenennung „Frappant“ zu „Christians-Quartier“

Sehr geehrter Herr Warmke-Rose,

dem „Altonaer Wochenblatt“ vom 13.2.2008 entnehme ich, dass der „Frappant“-Komplex nach Umbau „Christians-Quartier“ heißen soll, benannt nach dem dänischen König Christian VI (1699-1746).

Der Investor k-werkstatt schreibt auf der Webseite www.christians-quartier.com:

„Eine Neukonzeption und -gestaltung des Grundstücks Große Bergstraße 164-180 bedingt ganz von selbst auch einen neuen Namen. k-werkstatt sieht darin die Chance, ein selbstbewusstes Zeichen für die Neubelebung eines ganzen Stadtteils zu setzen. ... k-werkstatt wählte diesen Namen als einen Hinweis auf die Blütezeit Altonas Ende des 18. Jahrhunderts. Unter dem dänischen König Christian VI entwickelte sich die Stadt zur zweitgrößten Stadt Dänemarks. In dieser Zeit lebten und wirkten in Altona so wichtige Personen wie Johann Friedrich Struensee, Friedrich Gottlieb Klopstock oder Carl Heinrich Behn, der beispielsweise die stadtplanerischen Grundzüge des heutigen Altonas legte. Warum sollte es nicht möglich sein, diese positiven Aspekte wieder aufleben zu lassen?“

Ich nehme an, dass diese Namensnennung in Unkenntnis wichtiger historischer Fakten gewählt wurde. Während die oben erwähnten Geistesgrößen an der Elbe bei Altona spazieren gingen, kamen die Schiffe des dänischen Königs und seiner „Dänisch-Westindisch-Guinesischen Kompanie“ im Altonaer Hafen an. An Bord Kolonialwaren von den Plantagenwirtschaften in der Karibik: Zucker, Baumwolle, Kaffee, Tabak - und Sklaven als Pagen und „Kammermohren“ für die Reichen und Adligen in Schleswig-Holstein und Brandenburg.

Christian VI war Hauptaktionär der „Dänisch-Westindisch-Guinesischen Kompanie“ und damit einer der größten Sklavenhändler und -halter im transatlantischen Dreieckshandel. Seine Vorgänger Christian V und Frederik IV hatten den globalisierten Sklavenhandel zwischen Kopenhagen, Guineischer Küste in Afrika und den Jungferninseln in der Karibik angeschoben. Sein Nachfolger Frederik V perfektionierte das perfide System des Menschenhandels, der zur Haupteinnahmequelle des Königs wurde und wesentlich zum Reichtum des dänischen Staates beitrug.

In Altona profitierten vom dänischen Sklavenhandel unter vielen anderen auch Emile Nölting, der sein Geld auf der dänischen Karibik-Insel St. Thomas machte und der Reeder von (van) der Smissen, der Sklavenschiffe chartete - beide werden in Altona mit Straßennamen geehrt.
Christian VI von Dänemark trat 1730 als ältester Sohn von Frederik IV seine Regentschaft (1730-1746) an. Die Krönungsfeier fand 1731 statt, an der auch sein Oberstallmeister teilnahm, der zugleich Direktor der königlich initiierten „Dänisch-Westindisch-Guineischen Kompanie“ war. Als Ausdruck seiner hohen Stellung kam er mit seinem Sklaven, dem "Kammermohren" Anton.
Zu dieser Zeit besaß Dänemark bereits Festungen wie Fort Christiansborg an der afrikanischen "Goldküste" (heute Ghana) als Stützpunkte für den transatlantischen Sklavenhandel. Auf den karibischen Inseln St. Thomas und St. Jan befanden sich große Sklavenplantagen, auf denen vor allem Zucker, Baumwolle und Tabak für Europa angebaut wurde. Dafür fungierte Altona, damals Dänemarks Seehafen an der Elbe, als wichtiger europäischer Knotenpunkt des Dreieckshandels.

1733 erwarb Dänemark noch die Karibikinsel St. Croix, die für die Zucker- und Rumproduktion vor allem in Flensburg wichtig werden sollte. Auf St. Croix wurde im gleichen Jahr die Stadt Christiansted gegründet, benannt nach Christian VI. Zu dieser Zeit gab es auf St. John 109 Plantagen, davon 21 mit Zuckerproduktion mit wachsender Tendenz. Die dänische Insel St. Thomas war einer der bedeutendsten Umschlagsorte des Sklavenhandels in der Karibik.

Der „St. John Slave Code“, ein Strafreglement, das am 5. Sept. 1733 - vor 275 Jahren - vom dänisch-königlichen Kolonialgouverneur Philipp Gardelin erlassen wurde, erhielt 19 Paragraphen zur Behandlung von Sklaven auf den drei Inseln. Es gehört zu den berüchtigsten und grausamsten der europäischen Kolonialgeschichte.

Einleitend heißt es, dass das Reglement "unseren Negern, die von Gott selbst zu Sklaven gemacht sind" gilt. Das Strafreglement sah neben Auspeitschungen Brandzeichnen vor sowie - in Zeiten der „Aufklärung“ - so mittelalterliche Strafen wie Amputation von Ohr, Hand, Arm oder Bein, Foltern mit glühenden Zangen, Rausreißen von Fleischstücken aus dem Körper, Rädern, Hängen oder Verbrennen auf dem Scheiterhaufen. Wie es beispielsweise im Pararagraphen 8 heißt, wird als Strafmaß für das "Maron laufen" - das Entlaufen eines Sklaven von der Herrenplantage - festgelegt: "Wer 6 Monate lang wegbleibt, soll das Leben verlieren, es sei denn sein Herr verzeiht ihm und begnügt sich mit dem Verlust des Beines." Der Zeitzeuge Reimert Haagensen berichtet 1758, dass viele Sklaven lieber den Tod durch eigene Hand suchten, als sich in die Hände der Kolonialhäscher zu begeben. Haagensen hatte jedoch kein Mitleid, weil er der Meinung war, dass Sklaven „von Natur aus schlecht“ seien.
(Quelle: www.book.google.com)

In Guinea an der afrikanischen "Goldküste" gehörte der Sklavenhändler Ludwig Römer (1714–1776), der 14 Jahre lang als Oberkaufmann in dänischen Diensten zu Zeiten Christians VI tätig war, zu den Wenigen, die sich der Schuld bewusst wurden, die sie durch die Ausübung ihres grausamen Gewerbes auf sich geladen hatten. Er kritisierte in einem Buch die Europäer, alles eingeführt zu haben, was in Afrika böse ist. (Quelle: Stefan Winkle: Firma Schimmelmann und Sohn. Der dänische Sklavenhandel, Hamburger Ärzteblatt 12/03)

Die auf den karibischen Plantagen arbeitenden Sklaven mussten selbst in der Lage sein, sich zu ernähren. Sie hatten kleine Gärten angelegt, doch das Jahr 1733 wurde durch eine Dürreperiode und Hurricanes heimgesucht. Die koloniale Monokultur trug weiter dazu bei, dass die Gärten durch Erosion vernichtet wurden. Hungersnot, das gerade erlassene Strafreglement und die äußerst grausame Behandlung durch die Plantangenbesitzer und Kolonialverwaltung trugen dazu bei, dass viele Sklaven entliefen. Ein Aufstand brach am 23. Nov. 1733 aus. Erstmals gelang es in die Sklaverei verschleppten Afrikanern, eine ganze Insel über eine für die Kolonialmächte
bis dahin undenkbare Zeit (sechs Monate) zu kontrollieren. Der Aufstand wurde mit Hilfe französischer Truppen brutalst niedergeschlagen. Hunderte brachten sich um, bevor sie gefangen genommen werden konnten. So konnten sie der Folterei und Exekution entgehen.

Im Todesjahr Christians VI 1746 zählte man auf den drei dänischen Junferninseln 17.000 Sklaven - obwohl die Willkürherrschaft und die Gesundheitsverhältnisse als geradezu „mörderisch“ galten. (Quelle: Stefan Winkle a.a.O. )
Der dänische „Slave Code St. John“ und der Aufstand in der Regierungszeit Christians VI nimmt eine wichtige Stellung in der postkolonialen Erinnerungskultur der Karibik ein. Erst 1848 führte ein erneuter großer Sklavenaufstand zur Aufhebung der Sklaverei auf den dänischen Karibikinseln, mit denen auch Altonas Handel und Wirtschaft eng verknüpft war.
Aus der grausamen Geschichte des globalen Sklavenhandels kann kein „selbstbewusstes Zeichen für die Neubelebung eines ganzen Stadtteils“ (Zitat k-werkstatt) abgeleitet werden. Selbst wenn der absolutistisch herrschende und nur derart bedingt aufgeklärte dänische König Gutes für Altona (Gründung Christianeum; Bau Christianskirche, St. Trinitatis) geleistet hat, dürfen seine kolonialen Schattenseiten nicht ignoriert werden. Gegen den dänischen Sklavenhandel ging schon Friedrich Struensee vor. Ein solcher König eignet sich nicht als Namensgeber für einen in die Zukunft blickenden Stadtteil, der auch PartnerInnen und BesucherInnen aus anderen Kontinenten einlädt. Und die verdrängte und vergessene Kolonialgeschichte Altonas, Hamburgs und des Unterelberaums gehört erforscht und erinnert.

Ich möchte Sie auf unser aktuelles Kunstprojekt aufmerksam machen: die Ausstellung "wandsbektransformance - die Gegenwart des Kolonialen" im Kunsthaus Hamburg. Als Kolonialprotagonist rückt hierbei auch Heinrich Carl von Schimmelmann ins Visier der beteiligten Kunstschaffenden - jener einst von Wandsbek, Hamburg und Kopenhagen aus transatlantisch operierende Großaufmann, Fabrikant und Sklavenhändler, Vorbild für die 2006 amtlich installierte Büste am Wandsbek-Markt.

Mit freundlichen Grüßen
Jokinen
bildende Künstlerin

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ziemlich weit hergeholt und irgendwie wenig kreativ, sich als Künstlerin in Historie zu versuchen, aber keinen Gegenvorschlag zu machen! Das müsste doch mindestens drin sein. Und sollen Christianeum und Christianskirche auch besser gleich umbenannt werden? Vorschläge bitte auch für die Nöltingsstraße und die Van-der- Smissen-Straße: Ich schlage für die 1. vor: Straße des guten Gewissens und für die 2. Straße der Überseefreundschaft. Wie wärs?

Victory-a X hat gesagt…

Ich empfinde es als etwas wenig kreativ, sich anonym (und ohne Angabe über historisches Hintergrundwissen) so abfällig zu äußern und z.B. auch folgende Passage zu überlesen:

"In dieser Zeit lebten und wirkten in Altona so wichtige Personen wie Johann Friedrich Struensee, Friedrich Gottlieb Klopstock oder Carl Heinrich Behn, der beispielsweise die stadtplanerischen Grundzüge des heutigen Altonas legte. Warum sollte es nicht möglich sein, diese positiven Aspekte wieder aufleben zu lassen?"

Ich zumindest habe die Nennung dieser Namen als Alternativvorschläge aufgefasst.

Anonym hat gesagt…

St.Thomas, das seit 1666 zu Dänemark gehörte war auch ein wichtiger Stützpunkt des deutschen Sklavenhandels. Die nach der langen Überfahrt geschwächten Sklaven wurden hier "aufgepeppelt" und dann nach Jamaika, St. Croix und Spanisch Town weiterverkauft. Am 24.11.1685 schloss der kurbrandenburgische Marine-Generaldirektor Benjamim Raule über die Verpachtung eines Teils der Insel einen Vertrag mit der dänisch-westindisch-guinesischen Compagnie ab . Brandenburg wurde Grund und Boden zur Nutzung überlassen. Außerdem wurde ein auf 30 Jahre befristeter Freihandel vereinbart. Danach durfte der Preis für einen Sklaven nicht mehr als 60 Taler betragen. Für jeden eingeführten Sklaven erhielten die Dänen 1%, für jeden ausgeführten Sklaven 2% vom Kaufpreis. Sollten die Brandenburger ein Überangebot an Sklaven haben, würden ihnen die Dänen 100 Sklaven pro Jahr zu einen Festpreis von 80 Taler abkaufen. Es wurde auch eine Zusammenarbeit zwischen Brandenburgern und Dänen zum Sklavenfang an der "Sklavenküste" (heute Ghana, Togo, Benin)vereinbart.