Montag, Juli 23, 2007

Hagenbecks Völkerschauen

Bin gerade auf einen Artikel anlässlich des hundersten Geburtstages von Hagenbecks Tierpark gestoßen. Hier einige Auszüge:

1874 zeigte Hagenbeck Lappländer mit einer Rentierherde; 1877 vermarktete er eine Schau mit Nubiern aus dem Sudan; 1878 stellte er Inuit im Berliner Zoo aus. "Wildes Afrika" 1889 und "Menschenrassen des Nil" 1914 lauteten einige der Titel, mit denen Hagenbeck Werbung für seine Völkerschauen machte. Sein Assistent, der Zoologe Alexander Sokolowsky, behauptete, seinem Chef wäre es um Aufklärung und Verständnis für andere Völker gegangen, sagte aber zugleich deutlich, dass die Völkerschauen den kolonialen Gedanken in Deutschland fördern sollten.

Tatsächlich überschnitten sich die Präsentationen Hagenbecks mit dem Selbstverständnis der Kolonialherren Europas: Ein Schauspiel zeigte zum Beispiel arabische Sklavenhändler, die ein Dorf im Sudan überfallen, um Sklaven zu jagen; Hagenbecks Tierfänger verjagen die Araber und feiern mit den Schwarzafrikanern ein Freundschaftsfest. Das war klassische Kolonialideologie; denn die Imperialisten begründeten die "Schutzherrschaft" über Afrika unter anderem damit, dem Sklavenhandel der Araber Einhalt zu gebieten. Dass der Profit beim europäischen Händler und nicht bei den Afrikanern vor Ort blieb, erschien in dieser Propaganda als humanistischer Akt.

Hagenbecks Assistent, Alexander Sokolowsky, war Schüler des "deutschen Darwin", Ernst Haeckel. Haeckel hatte einen biologistischen Rassismus konstruiert, nach dem die Unterschiede zwischen "Natur- und Kulturvölkern" so groß wären wie die zwischen verschiedenen Tierarten. Die "gebildeten Europäer", die "Kulturmenschheit" hätten nach Sokolowsky das Recht, die "primitiven Völker" zu studieren. Anthropologen wie Rudolf Virchow besuchten die Völkerschauen und vermaßen die ausgestellten Menschen, Kaiser Wilhelm II. ließ sich Menschen aus Afrika im Tierpark vorführen.
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Eben dieser Panoramablick und die Aussicht auf ein gutes Geschäft kennzeichneten Hagenbecks Präsentationen: Er war ein cleverer Geschäftemacher, der Assoziationen, Zeitgeistströmungen und Erwartungen eines deutschen Massenpublikums als lebende Bilderwelten inszenierte. Wie wenig diese Erwartungen der Wirklichkeit der präsentierten Menschen entsprachen, wurde deutlich, als eine Gruppe Bella-Coola, Indigene von der amerikanischen Nordwestküste, 1889 auftrat. Diese Bella-Coola trugen ihre reale Kleidung - keine Bisonfelle, Kriegsbemalung oder Federschmuck. Besucher entrüsteten sich: "Das sind keine echten Indianer". Werbeplakate reduzierten die dargestellten Menschen auf Stereotype wie eben "wildes Afrika". Diese optisch inszenierten Klischees wurden so arrangiert und inszeniert, dass die schon vorhandenen Imaginationen des Publikums den Schein der Authentizität bekamen. Die Bilderwelten der Völkerschauen knüpften an verzerrte Vorstellungen an und entwarfen sie wiederum von neuem.
Carl Hagenbeck brachte sein Selbstverständnis auf den Punkt: "Wo seid ihr geblieben, ihr Söhne der Prärien, die ihr euch meiner Führung in das Land der Weißen anvertrautet, die euch anstaunten wie Wundertiere?" Er betrachtete sich als überlegenen -weißen- Führer, der die "Exoten" in sein Land brachte, wo das -weiße- Publikum sie wie Tiermenschen aus einer Fabelwelt betrachtete und die europäische Überlegenheit gewahrt blieb. Die Völkerschauen waren romantisierende Variationen des Kolonialrassismus, eben nicht in der vernichtenden Konsequenz, sondern als Paternalismus, als Darstellung tolerierender Arroganz, in der der "Wohltäter" Carl Hagenbeck seine hütende Hand über "Naturmenschen" und Wildtiere hielt und ihnen Schutz in seinem Reservat, seinem Park, gewährte.
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Der Exotismus, die tolerierende Arroganz, der die Anderen ästhetisiert und zur Unterhaltung einsetzt, das Salz in der Suppe der eigenen Sehnsüchte nach Abenteuer und Entfaltung, kann durchaus Rassismus sein, auch wenn der Fremde vermeintlich positiv erscheint. Zu einer kritischen Auseinandersetzung zum Beispiel mit der Situation der indigenen Opfer des Völkermordes in Amerika waren die Völkerschauen nicht geeignet. Nordamerikanische Indigene mit dem Stereotyp der Bisons jagenden Präriekulturen waren zwar im deutschen Klischee - auch durch Karl May- positiver besetzt als in den USA, die Begeisterung für sie als Symbol für den "authentischen Freiheitskämpfer, der seine Scholle verteidigt" blieb aber Wunschvorstellungen verhaftet: Diese Wunschvorstellungen resultierten auch aus den Existenzängsten der Kleinbürger und ihrer unreflektierten Kritik an der Monopolisierung der Großindustrie.

Hagenbeck verbildlichte den Herrschaftsanspruch des weißen Mannes, in dessen Obhut exotische Tiere und als Exoten präsentierte Menschen gezähmt lebten. Und in dieser Tier- und Menschenschau lag Hagenbecks Fähigkeit darin, dass er die zur Schau gestellten Kulturen ebenso kannte wie die Fantasien des Publikums und so den Schein des Echten vermittelte. Er war eine Identifikationsfigur für viele, die unter der Enge im Wilhelminischen Staat und der Entfremdung ihrer Lebenswelt im Industriekapitalismus litten, denn er schien die aufgeführten Abenteuer selbst erlebt zu haben. Das Freiheitsversprechen seines Exotismus - Länder zu bereisen, die aufregender als die erlebte Wirklichkeit wären - wirkte in der Starre der deutschen Klassengesellschaft wie ein Magnet.

Ein "African Village" im Zoo Augsburg 2005 löste internationale Proteste aus: Schwarze Deutsche, Ethnologen und Menschenrechtler fühlten sich an eine "koloniale Völkerschau" erinnert. Auslöser des Protestes war die Direktorin Barbara Jantschke, die sinngemäß auf eine besorgte Nachfrage geantwortet hatte: "Zum Zoo gehört die Exotik". Damit sagte Frau Jantschke, dass Menschen aus Afrika, sich als Exotik präsentieren lassen. Die Kritiker hatten recht: Das "African Village" war ganz eindeutig ein kommerzielles Projekt mit "Afrika" als Lockmittel, ohne einen reflektierten Zugang oder Pädagogik zur Realität und Geschichte afrikanischer Gesellschaften zuzulassen. Die Veranstaltung war nicht geeignet, Afrikaner als gleichwertig zu empfinden, indem zum Beispiel Professoren aus Tansania über dortigen Naturschutz referiert hätten. [*******A]frikaner, die Zöpfe flochten oder "typisch afrikanische Musik" spielten, waren Teil einer Ausstellung mit Tieren und Pflanzen. Auf das sarkastische Angebot eines brasilianischen Bürgers, sie hätten auch einen Zoo, wo die Direktorin doch typisch bayrische Tätigkeiten wie Kühe melken vorführen könnte, reagierte Frau Jantschke allerdings nicht. Auch der Zoo Hannover vermittelt mit der Dschungelbuch-Ästhetik eines "Dschungelpalastes" und "Kaffeegenuss am Sambesi" die falsche Authentizität eines Erlebnisses in neokolonialer Tradition.

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